Flucht hat viele Gesichter
Abschlussveranstaltung

Die Initiative des Stadtteilvereins Rohrbachs, des „Punkers“ und der „AG Asyl-Rohrbach sagt Ja“ hat am 12.5.2016 zur Diskussion in die St. Thomaskirche eingeladen.

Ein Bericht von Annette Lennartz (12.5.2016)

„Duset Daram“ so sagt man auf Farsi „Ich liebe Dich“. Ashkan Amin singt in der St. Thomas Kirche einen Song mit diesem Titel. Er könnte  zu einem Hit der Weltmusik werden, so eingängig und schön hört er sich an. Ashkan spielt auch Gitarre und erklärt an diesem Abend all seine Lieder. Er ist Christ und deshalb aus dem Iran nach Deutschland geflohen. Erstaunlich wie gut sein Deutsch ist. Gerade mal ein Jahr wohnt er im Kraichgau. Er paukt die Sprache richtiggehend und hat bereits viele deutsche Bekannte, spielt auch seit kurzem mit Jutta Glaser zusammen. In seiner Heimat, so erzählt der professionelle Musiker, hatte er eine  eigene Band und ein eigenes Tonstudio und so etwas würde er auch gerne hier aufbauen, denn Musik ist sein Leben.

Ashkan will in Deutschland leben und will die Deutschen verstehen. Der  letzte Abend der Bürgerdiskussion in Rohrbach beschäftigt sich genau damit – wie ist es fremd zu sein,  als Ausländer in Schubladen gesteckt zu werden.  „Alle Menschen sind Ausländer – fast überall“ ist denn auch die Überschrift des Abends. Annette Bellm, eine Rohrbacher Psychologin,  hatte die Idee zu solch einem Perspektivwechsel.

Wie fühlen wir Deutsche uns in der Fremde, wie nimmt man uns in der Fremde eigentlich wahr?   

Diese Frage hat Annette Bellm an Tobias Theis, einen jungen Studenten weiter gegeben, der ein Jahr im Ausland lebte. Außerdem hat sie  die ehemalige Oberbürgermeisterin Heidelbergs, Beate Weber-Schuerholz eingeladen, die die halbe Welt bereist hat als Europaabgeordnete und jetzt immer die Hälfte des Jahres in Kanada lebt.

Junge Engländer mit ausgesprochener Anti-Deutschland Haltung

Tobias Theis ist Physikstudent und entscheidet sich zunächst das „Erasmus-Auslandsjahr“ in England zu beginnen. Er will sich nicht gleich das kulturell so ferne Afrika oder Asien zumuten. Europa und vor allem England, scheint ihm auch wegen der Sprache am unproblematischsten zu sein. Aber allein dieser Sprung über den Ärmelkanal eröffnet Tobias Theis eine ganz neue Welt. Studentenzimmer für vier Personen mit Stockbetten erwarten ihn – keine Rückzugsmöglichkeit. Er wird zwar freundlich aufgenommen, aber es gibt junge Engländer mit ausgesprochener Anti-Deutschland Haltung, sei es mit Blick auf die  Nazivergangenheit oder die aktuelle deutsche Europapolitik.   In Irland erlebt er, dass die Iren nicht vergessen haben, wie sie als Katholiken von England behandelt wurden. Und die Isländer zeigen sich extrem verschlossen Ausländern gegenüber. Europa ist gar nicht so homogen wie Tobias vorher dachte, das wird ihm bald klar. Einzig in Kopenhagen spürt er europäischen Geist, Offenheit und extreme Hilfsbereitschaft. Umso stärker enttäuscht ihn aber die aktuelle flüchtlingsfeindliche Haltung Dänemarks. Zum Ausgleich überrascht  ihn dann Polen mit aufgeschlossenen, freundlichen Menschen. Er besucht das KZ in Auschwitz.  Ein schockierender Blick in Europas schwärzeste Zeit  ist das für den jungen Deutschen. Unglaublich, dass man heute noch völkische Ideen verbreiten kann, wie die AFD, sagt er abschließend. Und viele in meinem Alter haben AFD gewählt, auch aus meinem Umfeld. Der Physikstudent ist durch Europa gefahren und hat viel über andere Kulturen gelernt.  Aber um wie viel stärker  sind die Kontraste  für  Flüchtlinge aus dem Orient oder Afrika wenn sie nach Deutschland kommen. Davon erzählt der Musiker Ashkan Amin an diesem Abend nichts. Seine Songs erzählen stattdessen von einer starken verbindenden Kraft – denn es sind meist Liebeslieder.

Während Tobias Theis, der Student, durch seine Reisen Multikulti erlebt, blickt Beate Weber-Schuerholz zuerst einmal nach Innen, auf sich als Person.

 

Beate Weber blickt auf ihren Migrationshintergund

Sie selbst hat eine Grußmutter aus St. Petersburg, eine Mutter aus Österreich, Verwandte aus Polen und Italien. Ein Onkel ist nach Albanien ausgewandert und sie selbst in Nordböhmen geboren bevor sie mit der Mutter zur Tante nach Heidelberg fliehen konnte. Es ist reiner Zufall, wo man landet, sagt sie. Und Deutschland ist ein absolutes Multikultiland, schon seit sehr langer Zeit. Das Land erlebte Völkerwanderungen,  ein lange römische Zeit,  Fürstentümer mit wechselnden Grenzen und viele Aus- und Einwanderungswellen. Es ist also ein Schmelztigel, genauso wie die meisten Länder der Welt.

Und so sind die anderen –  die sogenannten Ausländer – uns manchmal näher verwandt, als wir glauben, meint Beate Weber­-Schuerholz  und erinnert sich an einen Besuch in Jordanien. Da wird ihr ein Senator vorgestellt, mit Namen Ashera. Ihr eigener Mädchenname lautet Asher, denn sie hat jüdische Vorfahren.  Die Begegnung ist ein Augenöffner. Wahrscheinlich, so überlegt sie,  war der Stamm der Asher nicht nur ein jüdischer sondern ursprünglich ein alter arabischer Stamm und die Ashers sind Moslems, Juden und Christen mit gemeinsamen Wurzeln.  Auch deutsche Worte erzählen eine ähnliche Geschichte. Z.B. der Begriff „Schachmatt“ kommt aus dem Arabischen und heißt: Der Schah (oder König) ist tot. Das Spiel wird von Christen und Juden sehr geschätzt. Die Ex-Oberbürgermeisterin  erinnert sich vor allem an ihren Besuch in Aleppo. Die syrische Stadt ist doppelt so alt wie Heidelberg und die Bürger schützten und bewahrten ihre Kultur über die Zeit. Nun ist alles kaputt. Wenn ich da wohnen würde, wäre ich auch geflohen und vielleicht nach Heidelberg, sagt Beate Weber-Schuerholz.

Nachrichtensprecher dürfen in Kanada mit Akzent sprechen

Was ist Europa? Wo ist man noch fremd, wo schon fremd – wo bereits zu Hause? Alle diese Fragen kommen  in der anschließenden Diskussion auf. Ob Reisen allein die Augen öffnet, daran zweifeln doch einige. Viele Touristen richten im Ausland eher Schaden an, durch arrogantes, überhebliches Verhalten. „Die sind abgefahren aber nie angekommen“! An dieses afrikanische Sprichwort erinnert Beate Weber-Schuerholz.  Seitdem sie die Sommer bei ihrem Mann in Kanada verbringt, weiß sie, dass Multikulti funktionieren kann. In diesem 30-Millionenland, sind 10 Millionen Menschen frisch zugewandert, also in der ersten Generation. Einwanderung ist normal, berichtet sie. Sogar Nachrichtensprecher im kanadischen Fernsehen reden mit Akzent. Man respektiert sich einfach.  

Die Reihe „Flucht hat viele Gesichter geht zu Ende

Es wird sicher noch ein steiniger Weg, bis Einwanderung auch bei uns so normal ist wie in Kanada. Aber fünf  Mal insgesamt haben sich zumindest Rohrbacher Bürger mit dem Thema Flüchtlinge auseinandergesetzt. Überraschend viel Menschen kamen zu den Diskussionen, Menschen, die bei der  Integration von Flüchtlingen im eigenen Stadtteil  aktiv mithelfen werden. Sogar Gäste aus Engelsbrand im Nordschwarzwald waren anwesend in Vertretung ihres Bürgermeisters. Der würde in seiner Gemeinde auch gern so eine Reihe aufbauen …